Die Angst vor Anschlägen mit terroristischem Hintergrund ist derzeit in unserem Alltag allgegenwärtig: sei es ein Attentat in öffentlichen Verkehrsmitteln wie beispielsweise der U-Bahn, in einem Flugzeug oder bei Veranstaltungen. Doch wie berechtigt ist die Sorge vor Anschlägen bei Events wirklich?
Für den Schutz von Veranstaltungen gegen Terroranschläge werden verschiedenste Anstrengungen unternommen. Exemplarische Beispiele sind Betonsperren, welche die Zufahrt für LKWs und PKWs zu Veranstaltungen verhindern, Rucksackverbote, verstärkte Zutrittskontrollen, Detektoren bei den Eingängen, usw.
Bei Veranstaltungen wird in der Regel mit begrenzten monetären Ressourcen gearbeitet. Weshalb es wichtig ist, diese finanziellen Mittel auf die Beseitigung der wesentlichen Gefahren auszurichten um die Sicherheit der BesucherInnen bestmöglich zu gewährleisten. (Zur Identifizierung der wesentlichen Gefahren bedarf es eines Risikomanagementprozesses, siehe hierzu den Beitrag „Sicherheitskonzept für Veranstaltungen“).
Es stellt sich somit die Frage, ob Terrorismus tatsächlich eine reale, große Gefahr für BesucherInnen von Veranstaltungen darstellt oder ob die hierfür eingesetzten Mittel für andere sicherheitsrelevante Maßnahmen eingesetzt werden können.
Die Einschätzung der Bevölkerung
Eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Research Affairs (2017) zeigt die aktuellen Sorgen der ÖsterreicherInnen.
Gemäß der Umfrage geben 88 % der befragten Personen an, sich vor einem Terroranschlag in Europa zu fürchten. Dieser Wert liegt weit höher als z.B. die Sorge vor der Sicherheit des Arbeitsplatzes (50 %) oder der Möglichkeit Opfer eines Kriminaldelikts zu werden (48 %). Weiters wurde abgefragt, inwiefern sich das subjektive Sicherheitsgefühl in den letzten Jahren veränderte. 89 % gaben an, dass sie sich viel unsicherer bzw. etwas unsicherer fühlen, lediglich 5 % fühlen sich etwas sicherer bzw. viel sicherer (6 % keine Angaben). Die Frage was geschehen müsste, damit sich das subjektive Sicherheitsempfinden wieder erhöhe beantworteten 57 % der befragten Personen mit „keine weiteren Terroranschläge in europäischen Ländern“. Ebenso wünschen sich 57 % der befragten Personen, dass die Regierung mehr unternimmt, um das Land vor Terroranschlägen zu schützen.
Die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung stuft demnach die Gefahr von Anschlägen mit terroristischem Hintergrund als hoch ein. Die Frage, die sich nun stellt: Ist die Gefahr tatsächlich so groß wie es die Bevölkerung wahrnimmt oder weicht die subjektive Einschätzung von der objektiven betrachteten Gefahr ab? Zur Beantwortung empfiehlt sich ein Blick in statistisches Zahlenmaterial.
Terrorismus: Zahlen in Österreich
In Österreich wurden in den Jahren 1976 bis 2016 insgesamt 20 Personen bei Anschlägen mit terroristischem Hintergrund getötet (126 Personen wurden verletzt). Die schwerwiegendsten Anschläge mit jeweils 4 getöteten Personen waren in den Jahren 1995 (Oberwart – Bombe) und 1985 (Flughafen Wien Schwechat – Handgranate & Waffe). Kein einziger Anschlag innerhalb der letzten 40 Jahre fand im Kontext einer Veranstaltung statt (University of Maryland, 2017).
Die meisten verletzten und getöteten Personen in Österreich sind in den Jahren 1976 – 1986 zu beklagen. Seit damals gingen die Zahlen kontinuierlich zurück bevor diese in den letzten Jahren einen leichten Anstieg verzeichnen (von 0 auf 1 getötete Person). Zum Vergleich: Im selben Zeitraum (1976 – 2016) starben 49.768 Personen im österreichischen Straßenverkehr (VCÖ, 2013; Statistik Austria, 2017), d.h. um 248.840 % (!) mehr als durch terroristische Anschläge.
Terrorismus: Zahlen in Westeuropa
Einen ähnlichen Verlauf zeigen die Zahlen im gesamten westeuropäischen Raum für denselben Zeitraum. Die Statistik zeigt insgesamt 2.551 getötete und 6.202 verletzte Personen bei terroristischen Angriffen im Zeitraum 1976 – 1986 in Westeuropa. Diese Zahlen waren ebenso zunächst kontinuierlich rückläufig und verzeichneten wiederrum einen leichten Anstieg in den letzten Jahren (University of Maryland, 2017).
Bezogen auf terroristische Anschläge auf Veranstaltungen gibt es in Westeuropa in den letzten 3 Jahren eine steigende Tendenz. Seit 1976 gab es insgesamt 8 Anschläge auf Veranstaltungen mit verletzten oder getöteten Personen, wovon 7 dieser Anschläge (3 X Frankreich, 2 X Deutschland, 1 X Großbritannien, 1 X Dänemark) seit 2014 stattfanden. Insgesamt wurden bei diesen letztgenannten 7 Attentaten über 200 Personen getötet und mehr als 700 Personen verletzt. In Österreich gab es bis dato (Stand 5. Dezember 2017) noch keinen terroristischen Anschlag auf eine Veranstaltung.
Gefahr äußerst gering
Basierend auf diesem Zahlenmaterial lässt sich darstellen, dass die Gefahr Opfer eines Terroranschlages zu werden, in Österreich bzw. Westeuropa statistisch betrachtet, als äußerst gering anzusehen ist. Die statistische Eintrittswahrscheinlichkeit eines Anschlages auf eine Veranstaltung in Österreich ist, basierend auf den historischen Daten, mit 0 zu bezeichnen. Auf europäischer Ebene kann die Wahrscheinlichkeit, jedoch basierend auf ungenügendem Zahlenmaterial über die Anzahl an stattfindenden Veranstaltungen, lediglich geschätzt werden (Vermutungen gehen von einer Wahrscheinlichkeit von 10-7 aus).
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die obigen Zahlen die Vergangenheit reflektieren und nur einen eingeschränkten Blick in die Zukunft erlauben. Die Möglichkeit, dass eine Veranstaltung in Österreich das Ziel eines Angriffes mit terroristischem Hintergrund wird, besteht. Aktuell existieren laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Aufrufe zu Anschlägen in westeuropäischen Ländern, weshalb für Europa (und damit auch für Österreich) diese nicht auszuschließen sind. Konkrete Hinweise auf einen geplanten Anschlag in Österreich bestehen jedoch nicht (Stand 5. Dezember 2017).
Insgesamt ist ein starker Kontrast zwischen der subjektiven Einschätzung durch die Bevölkerung und der objektiven Gefährdung festzustellen. Doch wieso weicht das subjektive Sicherheitsempfinden so stark von der realen Bedrohung ab? Die Erklärung hierfür ist in der Risikowahrnehmung zu finden.
Die Risikowahrnehmung
Das Konstrukt „Risiko“ besteht prinzipiell aus dem Produkt der Eintrittswahrscheinlichkeit und dem Schadensausmaß, wobei beide Faktoren fehlgeschätzt werden können. Dies resultiert sodann in einer fehlerhaften Risikobeurteilung.
So zeigte Kemp (1993), dass der fachliche Hintergrund einen wesentlichen Unterschied darstellt. Experten neigen eher dazu, Ereignisse mit geringem Schadensausmaß, jedoch einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit zu unterschätzen. Nicht-Experten überbewerten häufig Ereignisse mit schwerwiegenden Folgen (hohes Schadensausmaß), jedoch einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit wie z.B. Anschläge.
Unabhängig vom fachlichen Hintergrund hängt die Risikowahrnehmung zudem stark von der Beeinflussbarkeit ab (Romeike, 2006). Es ist daher wichtig zu betrachten, ob sich eine Person freiwillig einem Risiko aussetzt oder gezwungen wird sich diesem auszusetzen. Im Veranstaltungskontext sei hier z.B. auf eine hohe Personendichte vor der Bühne, in die sich Personen freiwillig begeben und diese genießen vs. derselben Personendichte im Abstrom bei einer Engstelle hingewiesen. Risiken von denen gedacht wird, man könne sie beeinflussen, werden tendenziell unterschätzt: Im Umkehrschluss werden Risiken, die nicht beeinflussbar sind, gerne überschätzt. Stichwort: Angst vor dem Fliegen vs. Autofahren, aber auch die Angst vor Anschlägen.
Die Risikowahrnehmung hängt weiters stark von vorhandener Informationen ab. Über tragische Ereignisse wird innerhalb von Minuten quer über den Globus informiert. Sensationelle Risiken werden im Allgemeinen eher überbewertet, alltägliche Risiken tendenziell unterbewertet. Romeike und Hager (2013) verweisen in diesem Zusammenhang z.B. auf den Umstand, dass in Deutschland täglich ca. 380 Raucher an den Folgen des Nikotinkonsums sterben (alltägliches Risiko) was ungefähr der Todeszahl beim Absturz eines Jumbojets entspricht (sensationelles Ereignis). Dieses tägliche Sterben wird jedoch gänzlich anders wahrgenommen als der Absturz eines vollbesetzten Flugzeuges. Man stelle sich vor, jeden Tag würde in Deutschland ein Jumbojet abstürzen. Niemand würde dann noch freiwillig in ein Flugzeug steigen. In diesem Beispiel treffen beide letztgenannten Faktoren aufeinander: der Jumbojet-Absturz ist nicht nur ein sensationelles, sondern darüber hinaus auch ein durch den Passagier nicht beeinflussbares Ereignis.
Auswirkungen des subjektiven Sicherheitsempfindens
Auch wenn die objektive Gefahr von Terrorismus bei Veranstaltungen in Österreich aktuell als sehr gering einzustufen ist, darf bei der Sicherheitsplanung das veränderte subjektive Sicherheitsempfinden der BesucherInnen nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, da damit einhergehend neue Gefahren entstehen.
Veranstaltungsgäste reagieren, vor dem Hintergrund der subjektiv betrachtet hohen Gefahr, verstärkt auf bestimmte Stimuli. So verletzten sich 1.526 (!) Personen und eine Person verstarb bei einer Public Viewing Veranstaltung am 3. Juni 2017 in Turin (SRF, 2017), als ein Teil der anwesenden Personen einen gezündeten Feuerwerkskörper als eine Bombe fehlinterpretierten und eine starke Fluchtreaktion zeigten.
Exkurs: In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass dieses (und ähnliche) Unglücke gerne mit dem Terminus „Massenpanik“ erklärt werden. Ein gern getätigter Fehler da das Konstrukt der Massenpanik empirisch betrachtet nicht haltbar ist. Die fehlerhafte Zuschreibung wird als correspondence bias bzw. Attributionsfehler beschrieben was bedeutet, die Ursache für ein beobachtetes Verhalten wird in den handelnden Personen und nicht in den äußeren Bedingungen gesucht.
Es kann daher, mit dem Ziel der Angriffsverhinderung und um das subjektive Sicherheitsempfinden zu erhöhen, durchaus Sinn machen, Betonsperren gut sichtbar zu positionieren und die Zutrittskontrollen zu verschärfen. Darüber hinaus ist, um das Wohlbefinden und die Sicherheit zu erhöhen, verstärkt auf eine adäquate Personendichte mit ausreichender Bewegungsfreiheit der einzelnen Personen am Veranstaltungsgelände zu achten. Dies inkludiert auch eine Betrachtung der Zu- und Abgänge mit adäquater Berechnung des Personenflusses um Dichte und Verweildauern zu reduzieren und Warteschlangenkonzepte um die Bewegungsfreiheit und Ausweichmöglichkeiten zu erhöhen.
Jedem/r VeranstalterIn ist jedoch zu empfehlen, die Gefahr „terroristischer Anschlag / Drohung“ in die Notfallplanung der Veranstaltung aufzunehmen und mit den handelnden Personen abzustimmen um im Ereignisfall schnell und richtig reagieren zu können um das Schadenausmaß zu begrenzen.
Zusammenfassung
Die aktuelle Gefahr Opfer eines Terroranschlages in Österreich zu werden ist äußerst gering. Die Diskrepanz zwischen objektiver Gefahr und subjektiver Wahrnehmung der Bedrohung ist mit einer fehlerbehafteten Risikowahrnehmung erklärbar. Das veränderte subjektive Sicherheitsempfinden macht jedoch weitere präventive Planungen notwendig, um das Wohlbefinden und damit die Sicherheit zu erhöhen.
Trotz der geringen Eintrittswahrscheinlichkeit ist das potentielle Schadenausmaß als sehr hoch zu betrachten. Daher muss dieses Szenario in die Notfallplanung aufgenommen werden. Nur wenn die verantwortlichen Personen auf den Eintritt einer Gefahr vorbereitet sind, kann schnell und richtig reagiert und das Schadenausmaß mit Personen- oder Sachschäden begrenzt werden.
Weiterführender Artikel: Terrorismus bei Veranstaltungen – über Angriffe und Abwehrmaßnahmen
Über den Autor
Martin Bardy MA, BEd, BA, MBA ist selbständiger Unternehmensberater für Veranstaltungssicherheit (siflux) und erstellt für Agenturen, VeranstalterInnen, SicherheitsdienstleiterInnen, Venue-Betreiber, etc. Sicherheitskonzepte, Notfallpläne und Personenstromsimulationen. Er absolvierte das Studium „Crowd Safety Management“ an der Buckinghamshire University (UK) mit der höchsten Auszeichnung „first class honours“ als Jahrgangsbester. Seit 2014 lehrt er an verschiedenen Universitäten, Fachhochschulen und privaten Institutionen zu den Themen Veranstaltungssicherheit / Crowd Management. Darüber hinaus entwickelte und leitet er den universitären Lehrgang „Crowd Safety Management, CP“ an der Donau-Universität Krems.
Literaturverzeichnis
Kemp, R. (1993). Risikowahrnehmung: Die Bewertung von Risiken durch Experten und Laien – ein zweckmäßiger Vergleich? In B. Rück (Hrsg.), Risiko ist ein Konstrukt (S. 109-127). München.
Romeike, F. (2006). Der Risikofaktor Mensch – die vernachlässigte Dimension im Risikomanagement. Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft (2), S. 287-309.
Romeike, F., & Hager, P. (2013). Erfolgsfaktor Risiko-Management 3.0 (3. Auflage Ausg.). Wiesbaden: Springer Gabler.
SRF. (04. 06 2017). SRF Schweizer Radio und Fernsehen. Abgerufen am 10.08.2017 von https://www.srf.ch/news/international/ueber-1500-verletzte-nach-panik-beim-public-viewing-in-turin
Statistik Austria. (2017). Statistik Austria. Die Informationsmanager. Abgerufen am 10. 09 2017 von https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/unfaelle/strassenverkehrsunfaelle/index.html (Link nicht mehr verfügbar) – aktuell abgerufen am 25.01.2023: https://www.statistik.at/statistiken/tourismus-und-verkehr/unfaelle/strassenverkehrsunfaelle
Teßmer, I. (2012). Qualitative und quantitative Methoden zur systematischen Risikoanalyse von verfahrenstechnischen Anlagen. In K. J. Thomé-Kozmiensky, A. Versteyl, S. Thiel, W. Rotary, & M. Appel (Hrsg.), Immissionsschutz – Aktuelle Entwicklungen im anlagenbezogenen Planungsprozess und Immissionsschutz (Bd. 3, S. 139-151). Neuruppin: TK-Verlag.
University of Maryland. (2017). Global Terrorism Database. Abgerufen am 10.08.2017 von http://www.start.umd.edu/gtd/search/Results.aspx?search=&sa.x=31&sa.y=13&sa=Search
VCÖ. (2013). VCÖ: Mehr als 82.000 Verkehrstote in Österreich seit dem Jahr 1961. Abgerufen am 10.09.2017 von VCÖ – Mobilität mit Zukunft: https://www.vcoe.at/news/details/vcoe-mehr-als-82000-verkehrstote-in-oesterreich-seit-dem-jahr-1961 (Link nicht mehr verfügbar)